Ländliche Regionalentwicklung

Beitrag für die Proceedings des Tropentages 1998 in Göttingen:

Naturschutz und Entwicklung, Gegensatz oder Bedingung - Zur Ausweisung eines Biosphärenreservates in Kirgistan

Andreas Pölking, Martina Sass

1. Einleitung

In vielen Ländern des Südens und in jüngster Zeit auch in MOE-Staaten soll die Natur durch die Ausweisung von Schutzgebieten in ihrer Einzigartigkeit erhalten werden. Während in Deutschland ein erbitterter Kampf um jeden Quadratmeter Schutzgebietsausweisung zwischen den Flächennutzern (z.B. Landwirten) und Naturschützern geführt wird, da die Ausweisung mit erheblichen Einschränkungen in der zukünftigen Bewirtschaftung verbunden ist, werden in anderen Teilen der Welt riesige Gebiete ausgewiesen. Venezuela hat zum Beispiel schon vor vielen Jahren kurzerhand mehr als die Hälfte der Landesfläche zum Naturschutzgebiet erklärt (zum Vergleich: in Deutschland ca. 1,5 % der Fläche). Wenn sich jedoch das Leben und Wirtschaften in einem Naturschutzgebiet nicht von dem in einem ungeschützten Gebiet unterscheidet, ist der Schutzgebietsstatus nicht von großer Bedeutung.

2. Zur Philosphie der UNESCO-Biosphärenreservate

Während klassische Naturschutzgebiete und Nationalparks als oberste Zielsetzung den Erhalt der Naturräume mit ihren besonderen Ausstattungen formulieren und das Leben und Wirtschaften der Menschen deutlich beschränken, um diesen Schutz zu gewährleisten, enthält das Konzept der UNESCO Biosphärenreservate andere Schwerpunkte. In den Reservaten soll bewiesen werden, daß ein "Wirtschaften im Einklang mit der Natur" möglich ist. Darüber hinaus sollen in allen Biosphärenreservaten der Welt - bislang existieren ca. 340 Gebiete - mit gleichen Parametern die Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf die Umwelt erhoben und erforscht werden. Als Besonderheit der Biosphärenreservate ist ebenfalls die Gliederung in unterschiedliche Zonen zu erwähnen. Es wird unter-schieden in eine Kernzone (menschlicher Einluß minimiert), eine Pufferzone (menschliche Aktivitäten zulässig, die die Ziele der Kernzone nicht gefährden) und eine Übergangszone (hier soll nachhaltige Nutzung stattfinden, die einen Übergang zum "normalen Wirtschaften" bildet). Außerdem können stark geschädigte Bereiche als Sanierungszonen ausgewiesen werden.

3. Die Begründung für ein Biosphärenreservat in Kirgistan

Auf Initiative von Prof. Michael Succow aus Greifswald wird in Kirgistan seit einigen Jahren daran gearbeitet, einen gesamten Oblast, eine Region vergleichbar eines Bundeslandes in Deutschland, im Nordosten des Landes, dem Grenzgebiet zu China, als Schutzgebiet auszuweisen. Das Gebiet soll bei der UNESCO zur Zertifizierung als Biosphärenreservat vorgelegt werden. Die GTZ hat die Startphase, also die Erarbeitung der Leitlinien für eine umweltgerechte Entwicklungsplanung für das Gebiet des vorgesehenen Biosphärenreservat, über vier Jahre lang finanziell und z.T. personell unterstützt. Ende September 1998 wurden im Rahmen einer Geberkonferenz neue Organisationen gesucht, die sich an einzelnen Kleinprojekten beteiligen. Die Autoren waren als Berater für die Bereiche Landnutzungsplanung und Landwirtschaft sowie allgemeine Projektbetreuung für das Projekt tätig.

Ein Konflikt ist bei allen Planungen über die Einrichtung eines Schutzgebietes vorhanden. Dieses ist die Frage, ob eine Schutzgebietsausweisung die wirtschaftliche Entwicklung behindert und behindern darf. Während von Seiten der Befürworter argumentiert wird, daß eine kurz- und mittelfristige Begrenzung der wirtschaftlichen Entwicklung langfristig zum Potential für verbesserte Entwicklungschancen wird, fürchten die Gegner, daß der Schutz der natürlichen Ressourcen die Wohlfahrtsentwicklung der betroffenenen Bevölkerung dauerhaft verhindern wird. Dieser Konflikt tritt verschärft bei Vorhaben in Ländern zutage, in denen die Bevölkerung viele Grundbedürfnisse noch nicht gesichert hat (Nahrung, Gesundheitsversorgung, Bildung und Mobilität). Hier wird deutlich, daß dem Konflikt auch eine unterschiedliche Sichtweise von Entwicklung zugrunde liegen kann. Liegt das Entwicklungsziel in einer wirtschaftlichen Expansion oder in einer "Um"-Bewertung bereits bestehender Potentiale?

4. Die Situation in Kirgistan

Kirgistan hat sich nach dem Umbruch Anfang der 90er Jahre sehr schnell gegenüber dem Westen geöffnet und sehr stringent die Empfehlungen des Westens (z.B. seitens der Weltbank) nach einer umfassenden Privatisierung befolgt. Ein großer Teil der staatlichen Güter (Kolchosen und Sowchosen) wurde an die Landbevölkerung verteilt, allerdings zunächst auf Erbpacht, ohne das Recht, das Land zu verkaufen. Die so zu Landbesitzern gewordene Bevölkerung war jedoch häufig nicht in der Lage, das erhaltene Land auch zu bewirtschaften, die Viehbestände und die Ernteerträge gingen dramatisch zurück.


Abb. 1: Erosion, verursacht durch Pferde und Schafe.


Abb. 2: Das geplante Biosphärenreservat, der Oblast Issyk-Kul mit dem gleichnamigen See.

Seit dem Wechsel des Wirtschaftssystems hin zur Privatwirtschaft in Kirgisien sind alle Sektoren und besonders auch die Landwirtschaft in einer schweren Krise. Die Menschen erhoffen sich durch ein international anerkanntes Schutzgebiet einen positiven Effekt auf ihre Wirtschaft (Beispiel: Tourismus). Da jedoch viele Möglichkeiten, wie z. B. die Vermarktung von biologisch erzeugten Produkten, (noch) nicht bestehen, da dieser Markt noch nicht ausgebildet ist, muß die grundlegend andere Situation in Transformations- und Entwicklungsländern gesehen werden. Solange kein Geld für Pestizide da ist, wird gezwungenermaßen biologischer Pflanzenschutz betrieben. Wenn der Zugang zu synthetischen Dünge- und Pflanzen-schutz-mitteln besteht, fällt die Entscheidung, freiwillig auf ihren Einsatz zugunsten einer nachhaltigen Landwirtschaft zu verzichten, sehr viel schwerer.

5. Bestehende Chancen und Möglichkeiten in der Region des Biosphären-reservates

Seit jeher haben der See Issyk-Kul und die ihn umgebende Berglandschaft eine große Bedeutung für das Land und die Bevölkerung gehabt. Der See war so etwas wie eine heilige Stätte für die Kirgisen, die ihn immer sehr gepflegt und rein gehalten haben. Es wurde nie ein intensiver Schiffsverkehr. Der See wird durch die umliegenden Gletscher (3300 mit bis zu 7000 m Höhe über NN) über die zulaufenden Flüsse gespeist und ist das wichtigsten Wasservorkommen für den gesamten Raum. Die einzigartige Landschaft rund um den See bietet viele Chancen für eine touristische Nutzung. Die landwirtschaftliche Bodennutzung ist insbesondere im östlichen Teil, wo die Trockenheit nicht so groß ist, günstig. Hier kann Gemüse und Obst angebaut werden. Für manche Kulturen bietet die Hochlage eine besondere Chance, dem Krankheits- und Schädlingsdruck der Tieflagen auszuweichen.

Allerdings gibt es auch Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes und der Reinheit der Natur. So wurde das Nordufer während der Sowjetzeit sehr stark für den Tourismus ausgebaut, so daß die verfallenen Betonsilos der sowjetischen Hotels und Pensionen jetzt überwiegend ein Entsorgungsproblem sind. In der südlich des Sees liegenden Gebirgskette wird mit Hilfe Kanadas Gold abgebaut - hier werden Boden und Gewässer durch Chemikalieneinsatz und den Abraum gefährdet. Auch am Beispiel dieser Goldmine werden die Konsequenzen aus dem Status eines Biosphärenreservates diskutiert. Ist diese Art der wirtschaftlichen Nutzung noch mit den Zielsetzungen des Reservates vereinbar?

6. Stand der Planungen des Biosphärenterritoriums

Ein Rahmengesetz, das die Grundlage für die Einrichtung von Biosphärenreservaten in Kirgistan bildet, ist bereits vom Premierminister unterschrieben und der Abgeordnetenkammer vorgelegt worden. Zur Zeit befindet sich ein Verordnungsentwurf, der die Abgrenzungen und Auflagen regelt, in der Beratung der verschiedenen Ministerien im Lande. Beabsichtigt ist, Anfang 1999 den Antrag an die UNESCO einzureichen, ein entsprechendes Zertifikat für das Gebiet auszustellen. Dieses sei jedoch mehr oder weniger sicher. Neben der Gesetzesvorlage wurde eine Zonierung des Gebietes mit den entsprechenden Entwicklungs-zielen und den Nutzungsauflagen erarbeitet. Eine umfangreiche Verwaltungsstruktur, die von Generaldirektor bis zum Naturwacht-Ranger 6 Hierarchieebenen umfaßt, sichert den Arbeitsplatzeffekt des Reservates. Darüber hinaus wurden Kleinprojekte erarbeitet, die in abgegrenzten Modellgebieten beispielhaft zukunftsfähige Lösungen demonstrieren sollen. Diese Kleinprojekte reichen von der Kompostierung von Biomüll, der Marmeladenherstellung aus ökologisch erzeugtem Obst bis hin zu einem Erlebnisurlaubsangebot (Wohnen und Leben wie die Yakuten in Jurten).

7. Wer braucht ein Biosphärenreservat?

Es wird immer wieder kritisch gefragt, ob die Abgrenzung eines Gebietes und der gesetzlich vorgegebene Schutz der richtige Weg ist, eine nachhaltig umweltverträgliche Entwicklung sicherzustellen. Assoziationen an Reservate und Segregation sind allzu nah. Dennoch kann mit Blick auf die Erfahrungen in Deutschland gesagt werden, daß sie immerhin ein lohnenswerter Versuch sind, Ökologie zur Querschnittsaufgabe für alle Politikbereiche zu machen. Auch wenn kein Vorhaben durch den Schutzstatus absolut verhindert wird, so steigt doch die Möglichkeit, umweltbelastende Vorhaben gezielt in weniger sensible Räume zu lenken, umwelttechnische Auflagen auszusprechen oder auch Ausgleich bzw. Ersatz als "Wiedergutmachung" für die Umweltzerstörung zu fordern.

Die Frage "Wer braucht ein Biosphärenreservat?" sollte umgewandelt werden in "Wem nützt ein Biosphärenreservat?" Zwar wird der Status von der UNESCO auf Antrag der nationalen Regierung verliehen und eine umfangreiche Verwaltung wird installiert, aber die eigentliche Umsetzung kann nur durch die breite Bevölkerung erfolgen. Daher ist auch jetzt in der Planungsphase eine größtmögliche Beteiligung der Bevölkerung und eine Partizipation an allen Entscheidungs-prozessen so wichtig. Die große Chance eines Biosphärenreservates liegt darin, den Menschen ihr Land wieder in Wert zu setzen bzw. ihnen eine Bestätigung für die Beziehung zu ihrem Land zu geben. Diese Förderung der Verantwortlichkeit für ihr Land (ownership building) ist die große Aufgabe des Projektes. Die Neuorientierung nach dem Umbruch in 1990 hat hier nicht nur ein Vakuum verursacht, sondern ebenfalls eine große Chance geboten. Die Landreform hat große Teile der Bevölkerung zu Kleinstbesitzern von Land gemacht, doch schon bei dem nächsten Schritt, dem Anbau und der Vermarktung, wurden die neuen Landbesitzer allein gelassen. Hier kann das Biosphärenreservat eine Hilfestellung anbieten und die Weichen in Richtung eines umweltverträglichen Anbaus stellen.

Am Beispiel der Landwirtschaft - mit landesweit immerhin ca. 50% Beschäftigungsanteil der wichtigste Sektor in Kirgistan - wird der Konflikt um ein Biosphärenreservat deutlich. Was soll künftig ein "ökologisch orientiertes Wirtschaften" (Gesetzesentwurf über das Biosphärenreservat) bedeuten. Soll nur die "biologische Landwirtschaft" als Leitbild gelten oder soll der sogenannte "integrierte Anbau" eingeführt werden? Zur Zeit werden aus Geldmangel in weiten Teilen des geplanten Biosphärenreservates keine synthetischen Dünge- und Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Aber alle Landwirte beklagten, daß sie diese Stoffe dringend benötigten, um ihren Anbau erfolgreich zu machen. Wenn man sich für den biologischen Anbau als Leitbild zukunftsfähiger Landwirtschaft entscheidet, muß man wissen, daß es im Lande kaum einen Markt für diese Produkte gibt, d.h. auch kein Preisaufschlag aus dieser Anbauweise erzielt werden kann.

Etwas leichter fällt die Entscheidung in einem anderen wichtigen Gebiet, der zulässigen Tierbesatzdichte für die empfindlichen erosionsgefährdeten Berghänge im Gebiet des geplanten Biosphärenreservates. Hier ist nicht eine grundsätzliche Entscheidung (Pestizide ja oder nein) gefordert, sondern lediglich die Besatzobergrenze festzulegen, bis wieviel Tiere pro Hektar Weideland keine Schädigungen auftreten. Andere Projekte zur Desertifikations-bekämpfung in verschiedenen Teilen der Welt haben hierfür viele wertvolle Vorarbeiten geleistet.

Ein letzter wichtiger Grund für das "Biosphärenreservat Issyk-Köl" ist die besondere Bedeutung der Anerkennung als international schützenswertes Gebiet. Für Kirgistan ist in dieser Zeit des Umbruchs die Anerkennung eines großen und wichtigen Teiles ihres Landes durch die Staatengemeinschaft - vertreten durch die UNESCO - eine wichtige Bestätigung und Ermutigung. Auch dieses muß als Argument für das Biosphärenreservat gesehen werden.



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